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Erfahrungsbericht Dr. Judith Ulmer

„Worüber man nicht spricht, das gibt es nicht.“

Seit 2016 hat das Hölderlin Gymnasium mit mir einen Genderbeauftragten auf der Basis eines ausgereiften queerpädagogischen Konzepts. Ziel meiner Tätigkeit ist es die Themen Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität durch Information und Begleitung zu einem selbstverständlichen Bestandteil des Schullebens zu machen, ein empathisches Miteinander in Vielfalt zu gestalten und diesen Geist auch an Kolleg*innen anderer Schulen weiterzugeben. Dies findet ganz im Sinne des Diversitätsgedankens statt, einer von vier Säulen im Rahmen der Erasmus+-Mitgliedschaft unserer Schule.

Umso erfreuter war ich über die Möglichkeit vom 9. – 14. Oktober 2023 im Rahmen von Erasmus+- einen Kurs von Dr. Carlina Castro Huercano zu „Supporting LGBTQIA Youth at school“ in Sevilla zu belegen und meine lokalen und regionalen Erfahrungen in Schule, Aus- und Fortbildung um eine internationale Perspektive zu bereichern. Das Kursprogramm umfasste theoretische wie praktische Aspekte des Umgangs mit queeren Jugendlichen und der Etablierung queerpädagogischer Zugänge im Schulalltag. Darüber hinaus war es möglich einige Stunden an einer sevillanischen Oberschule zu verbringen, die ein ähnliches Konzept verfolgt wie das Hölderlin Gymnasium Heidelberg, nämlich das Sichtbarmachen von Vielfalt und das Schaffen von Bewusstsein für deren bereichernde Bedeutung für alle am Schulleben Beteiligten. Im Gespräch mit queeren Schüler*innen dort fühlte ich mich an die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen meiner eigenen Arbeit erinnert, die sich nichts mehr wünschen als Empathie und Selbstverständlichkeit. Nicht umsonst bestätigen aktuell erhobene empirische Untersuchungen, dass homosexuelle und transidente Jugendliche um ein Mehrfaches psychisch belastet sind als heterosexuelle und cisidente Altersgenossen, wenn sie sich in einem ignoranten, wenn nicht sogar feindlichen Umfeld – wie es die Schule darstellen kann – bewegen müssen. Dies bestätigte einmal mehr der Vortrag von Esther Ciria Barreiro, einer Wissenschaftlichen Mitarbeiterin der Psychologischen Fakultät an der Universität Sevilla, der Teil des Workshopangebots war. Interessante Aspekte warf der stringent geplante, engagiert durchgeführte und auf umfangreiches Material gestützte Kurs auf, etwa wenn die spanischen Teilnehmer*innen die Queerpädagogik maßgeblich moralisch fundiert deuteten, während die Deutschen das Engagement im Sinne eines vielfaltsensiblen Schullebens klar als demokratisch motivierten Bestandteil von Bildung sahen. Diese gesellschaftshistorisch zu erklärenden Unterschiede fanden auf der Basis der Kulturbegegnung als einem zentralen Anspruch des Erasmus+-Programms statt und stellten einen weiteren wichtigen Erfahrungsimpuls des Kurses dar, ergänzt durch die Möglichkeit außerhalb der Kurszeiten die maurisch-andalusische Kultur von Sevilla kennenzulernen.

Im Alltag unserer herausfordernden Tätigkeit als Lehrer*innen sind so geartete gewinnbringende Erfahrungen sehr selten und ich bin ausgesprochen dankbar in Sevilla dabei gewesen zu sein! Die Woche hat mich und meine Arbeit bereichert und verändert.